5 SCHWESTERN

„Fünf Schwestern“ (Arbeitstitel)

Camille Claudel, Niki de Saint Phalle, Frida Kahlo, Paula Modersohn-Becker, Germaine Richier

Hommage an fünf große Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts

von Rainer Rubbert (Musik) und Tanja Langer (Textdichtung)

Regie: Ingeborg Waldherr

Bühne: Silvio Motta

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Jede dieser Künstlerinnen zeichnet sich durch ein großes, eigensinniges Werk aus. Jede von ihnen hat ihr Leben auf radikale Weise der Kunst gewidmet, ohne Wenn und Aber. Jede hat der Kunst neue Wege gezeigt.

Einst war ich schön – Camille Claudel (1864 – 1943)

Sie arbeitete in Ton, Onyx und Marmor, stellte Liebespaare, das Alter und Szenen weiblichen Alltags dar. Ihre dramatische Liebe zu Auguste Rodin, dessen Schülerin sie war, stürzte sie – zusammen mit der (Teil-) Ablehnung, die sie bei Kritik und Publikum erfuhr -  in eine schwere Krise. Sie wurde von ihrer Familie, auch ihrem Bruder Paul Claudel, in eine Nervenklinik eingewiesen, wo man sie 30 Jahre ihrem Schicksal überließ. Sie lebte, aus Angst vor Vergiftung, von gekochten Kartoffeln und Eiern.

Fürchterlich ist die Braut am Abend – Niki de Saint-Phalle (1930 – 2002)

Ihre künstlerische Laufbahn begann mit einem Nervenzusammenbruch. Nach einem Klinikaufenthalt übersetzte sie ihre Wut über die konventionelle Rolle als Mutter und Hausfrau in ihre „Schießbilder“, weltbekannt wurde sie mit ihren übergroßen, bunten Frauenfiguren, „Nanas“. Mit Jean Tingeluy verband sie Liebe und Kunst; sie arbeitete unermüdlich; die Gifte der Farben führten zu einem Lungenleiden, an dem sie 2002 starb. Die Kunst war ihr „Notwendigkeit und Erlösung“.

Liebeslied an das Leben – Frida Kahlo (1907 – 1954)

Frida Kahlo, längst eine Ikone, machte ihre wilde Liebe zu Diego Rivera, ihre schweren Unfälle, ihr Leben als Frau, gegen alle Vorbehalte zum Thema. Ebenso ihre „Wurzeln“: Ihr Vater war ein jüdischer deutsch-ungarischer Fotograf, der 1891 aus Deutschland nach Mexiko einwanderte, der sie, wie sie sagte, „Zärtlichkeit und Arbeit“ lehrte. Fridas Mutter hingegen eine traurige Schönheit, die ihre Tochter einer indianischen Amme überließ. Der Text dieses Liedes ist knapp, es sprechen die Farben der Musik.

Porträt im Regen, Lee – Paula Modersohn-Becker (1876 – 1907)

Paula Modersohn-Becker, Malerin in Worpswede, entdeckt in Paris, wo sie sich gegen heftige Widerstände ihres Mannes, des Malers Otto Modersohn aufhielt, ägyptische Mumienporträts und die Abstraktion der Moderne, Cézanne, Munch etc. Ihre ungewöhnlichen Sujets – schwangere und stillende Frauen, experimentelle Selbstporträts – werden immer klarer und radikaler. Im Sommer 1906 lernt sie den Bildhauer Bernhart Hoetger und dessen Frau Lee kennen; sie erlebt den Durchbruch einer großen künstlerischen wie erotischen Kraft.

Je suis la femme – Germaine Richier (1902 – 1959)

Was die Natur des Menschen ist, und was ohne ihn: damit setzte sich die Bildhauerin Germaine Richier in ihren Kreaturen, halb Tier, halb Mensch auseinander, besonders nach ihren Eindrücken des Zweiten Weltkriegs. Sie stellte das Gewitter als Frauengestalt dar, Frauen als Heuschrecke oder Kröte. Ihre Plastiken der törichten Jungfrauen und eine humane Christusdarstellung lösten Skandale aus, doch die Anerkennung war groß; sie hatte Ausstellungen in Basel, Bern, Zürich, mit bekannten Künstlern wie Giacometti. Während der Arbeit für ihre Retrospektive im MOMA in NY 1959 erlag sie dem Krebs.

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Zur Konzeption der Inszenierung

Die Frauen sind wie Tschechows „Schwestern“: Ihre Verwandtschaft macht das Leben in der Kunst.  Sie präsentieren sich anfänglich wie ausgestellte Ikonen; statuenhaft erscheinen sie wie das Inventar einer hochdotierten Kunstwelt. Doch brechen sie ihr Inneres auf, erzählen und erinnern an ihre Liebe, ihre Freuden, ihre starken, stillen oder lauten Kontroversen, ihre gezielten Provokationen und notwendigen Ausbrüche, ihr Scheitern in der Liebe, ihre Schmerzen, ihre Einsamkeit bis in den Tod – und ihr unbeschreibliches Glück, in der Kunst zu leben.

Die verschiedenen Räume werden zu Stationen und wandeln sich zur überhöhten Seelenlandschaft der Ausnahmegestalten.

Realität und Surrealität gehen fließend ineinander über und lösen ihre Grenzen auf. Kunst „verflüssigt sich“ zu Leben, Phantasie und Erinnerung bis reiner Fiktion – entsprechend den hochpoetischen, melodiösen Liedern, die auch musikalisch eine Reise durch das Jahrhundert bilden; der Zeitstrom fließt per Video, in stilisierten Momentaufnahmen, reduziert durch das Jahrhundert.

Das Musiktheater-Projekt spiegelt ein großes und vitales, vielschichtiges Kaleidoskop existentieller Erfahrung der Künstlerinnen wieder.

Die Bühne führt in drei „Akte“ ein und zeigt existentielle Stationen der „Schwestern“, ihren inneren Lebensprozessen folgend, fließend. Gestaltete Gänge werden zu Entwicklungswegen der Künstlerinnen; strukturierte Gesten mit Wiedererkennungswert und körperlich minimalistische oder ausgeweitete Aktionen führen die Frauen.  Es vollzieht sich eine Metamorphose, innerlich wie äußerlich, begleitet vom Video- „Strom“, der durch das Jahrhundert führt.

Im Anfang stellt ein Kubus die außergewöhnlichen Frauen wie Ikonen in einer Art Relief aus; der bewegliche Schaukasten präsentiert sie in „exotischer Schönheit“; ihre Kostüme erinnern an Qualitäten von Max Ernsts Fabelwesen. Wie zusammengepackte „Paradiesvögel“ sind sie anfangs eingesperrt; doch die Kunst „verflüssigt sich zu Leben“ und die Frauen entfalten sich in choreografierte Bewegungsformen und Gesten, spielen mit Fragmenten von Musik und Text; ihr Schaukasten wird zur „Bühne“ und zum Spielinstrument zugleich. Jede taucht in ihre eigene „Geschichte“ ein, spielt mit Raum und dem Objekt, mit Textfragmenten (der Lieder), Bewegungen, ureigenen Gesten und Gängen und in der Interaktion mit den „Schwestern“. Bewegte Bilder und installierte Bilder wechseln sich ab und bilden die Performance.

Der zweite Raum fokusiert sich auf Ausschnitte ihres „realen Lebens“, wie in Schießaktionen aus Provokationslust, Walzertanzen bis zum Zusammenbruch: die melancholische Fensterschau im Regen, das Tschechowsche Moskau wird zum „Paris, Paris“ in Worpswede, Unfälle und südamerikanischer Liebesrausch, Beziehungskämpfe, das Labor der Kunst und die Arbeit mit Natur und Tieren bis zu ihrer Ver- und Gestaltung…. Choreografie und Szene werden zum Bildmaterial in den Museumsräumen, der Kubus spielt mit. Er wird über den Ausstellungsraum zum Spielort, zum einsamen Rückzugsort, zur Spielwiese, zum Atelier, zur Leinwand, zum Schußfeld, Marterpfahl, Anstalt, Zuhause, Sehnsuchtsort, Tanzparkett und vielem mehr; in ihm werden die „Schwestern“ nicht nur wie Objekte ausgestellt, stehend oder sitzend; er bietet ihnen auch Möglichkeiten der Bewegung in und mit ihm; in ihm läßt sich an Händen hängen, rollen, er läßt sich schieben und wird gedreht, er läßt ein- und aussteigen und wird so zur „Bühne“ und zum einzigen und bewegten Großobjekt der Performance.

Der dritte Raum, der ästhetische Zitate verarbeitet, zeigt die exotischen Schönheiten in einer Verdichtung, d.h. was zuvor an Material performt wurde: Höhepunkt! Die Frauen, zentrierter oder demolierter, gebrochener, gezeichnet oder aufgelöst – dort wartet ihr „Lied“, auch „letztes Lied“: Camille- wie eine Mumie sitzend auf ihrem Stuhl des Irrenhauses. Niki in überdimensionaler weiblicher Größe, Frida unbeugsam mit zerbrochenem Rücken wie am Marterpfahl, Paula, in der Melancholie erhoben, Germaine, zerfetzt vom Krebs.

Zu Beginn dominieren tänzerische Bewegung, Gesten, Aktion und Körper, dann im Abschluss Musik, Tanz und Gesang in reduzierten zitierten Bewegungen. Die Reise der Schwestern, ihre Reise durch das vergangene Jahrhundert und ihre Aufbrüche in eine neue Zeit sprechen neu zu uns.

Ingeborg Waldherr, 25.03. 2022

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